180 Km westlich von Lilongwe ist die Grenze nach Sambia. Aus- und Einreise gehen schnell über die Bühne. Einziges Highlight ist nun die “Carbon Tax” von jeweils 10 Dollar, die wir für die Motorräder zahlen. Nach Lusaka sind es gut 700 km. Die bringen wir ohne Aufregung hinter uns. Die Landschaft ist schön aber ohne Besonderheiten. Hügeliges Buschland. Kurz vor Lusaka steuern wir das Pioneer Camp an. Eine hübsche Lodge, die von einem Engländer betrieben wird.
Martina und ich diskutieren schon seit geraumer Zeit, wie wir zur Chimfunshi Orphanage Farm kommen. Das ist ein Projekt für Schimpansen, die aufgefunden oder abgegeben und wieder in die Natur eingegliedert werden sollen. Mich zieht es da nicht wirklich hin. Es liegt einfach zu Abseits vom Weg. Aber Martina bleibt beharrlich. Es sind von Lusaka 500 km nach Norden, direkt durch den “Copper Belt”, sozusagen dem Ruhrgebiet Sambias. Es gibt quasi nichts touristisches zu sehen. Eben nur die Schimpansen Farm. Da es auch noch jeden Tag kurz regnet, einigen wir uns, ein Auto zu mieten.
Gesagt getan. Am nächsten Tag halte ich die Schlüssel eines „Nissan Sentra“ in der Hand. Einem Toyota Corolla Verschnitt. 4 Türen, 4 Räder mehr aber auch nicht.
Die Fahrt in den Norden ist wie erwartet eintönig, sieht man mal vom zunehmenden und nervigen Verkehr zwischen den nördlichen Industriestädten Ndola und Chingola ab. Nach 410 km biegen wir endlich links auf eine ruhige Landstraße ab, die nach Angola führt. Die Sonne geht gerade unter und nach 60 km weist uns das Navi an, jetzt rechts in den Busch abzubiegen.
Merkwürdig, überhaupt kein Schild, was auf die Farm hinweist. Aber die Beschreibung stimmt auch mit der im Reiseführer überein. 18 Km steht im Reiseführer und auch auf dem Navi.
Wir fahren auf eine rote Lehmpiste. Nach 2 Km ein Wegweiser der nach links zeigt: ”Chimfunshi Farm”. Hm, geradeaus sieht die Piste besser aus. Aber Navi und Wegweiser zeigen nach links. Eine engbewachsene Buschpiste. In Lusaka hat man uns auch noch versichert, daß wir keinesfalls ein Allradfahrzeug brauchen. Die sollten das ja wissen. Die ersten Wasserpfützen tauchen auf. Ich fahre mal einfach durch. Der Busch rückt näher, das Tageslicht weicht der Dunkelheit und unsere Scheinwerfer sind leider echt mieß. Der Weg verschwindet wieder in einer Wasserpfütze und wir können kaum ausmachen, wie lange diese ist. Martina rutscht nervös auf Ihrem Sitz herum und meint, wir sollten besser umdrehen. Das schaffen wir mit dem Auto nicht.
Falsche Ansage.
Ich gebe Gas. Das Wasser spritzt hoch, ich gebe noch mehr auf dem Gas. Nur nicht stehenbleiben. Und dann sind wir durch. Martina schnappt nach Luft. Zündet sich gleich noch eine Zigarette an. Wir rumpeln weiter.
Martina meint: “Das gibt es doch nicht, im Buch steht, daß sogar Schulbusse zur Farm fahren und dann so eine Piste”. Ich habe keine Ahnung. Immerhin sind auf dem Weg Fahrspuren von einem anderen Fahrzeug zu erkennen. Und da es häufig regnet, kann das so lange nicht her sein.
Plötzlich löst sich der Weg vor uns einfach auf. Die Spuren verschwinden in einem Gemisch aus Gras und Schilf. Das Navi zeigt noch 12 km bis zum Ziel an, ist unbeirrt der Meinung das wir richtig sind. Ich steige aus und erkunde im Scheinwerferlicht den weiteren Weg. Martina bleibt im Auto. Sie traut der Dunkelheit und den vielen Tierchen, die es hier geben könnte, nicht. Ich laufe weiter durch das Dickicht. Stelle fest, daß er nur ein paar Meter durchs Schilf geht. Offensichtlich führt der Weg hier durch einen Sumpf, der Untergrund wurde aber irgendwie verfestigt. Als ich zurück zum Auto blicke, stelle ich fest, daß auch nur ein Scheinwerfer funktioniert. Daher das schlechte Licht.
Martina kaut Fingernägel und ist nun fest überzeugt, daß ich jetzt auch umdrehen will. Nein, will ich nicht.
Ich lege den Gang ein, gebe ordentlich Gas und fahre ins Schilf. Es rumpelt kräftig. Das Fahrzeug schwimmt auf. Martina schreit: “Achtung Felsen”. Zu spät zum bremsen. Das Auto hüpft und bockt über einen Geröllgürtel zum andern und urplötzlich wird die Piste wieder “normal”. Jouh, jetzt bin ich aber auch froh das die Karre noch fährt.
Wir pirschen weiter und stehen plötzlich vor einem verschlossenem Gatter. Der Eingang zur Farm. Es sind immer noch 9 Km. Stockfinsterer Busch. Da taucht aus dem Dunkel ein Wachmann auf. Wundert sich zwar, was wir so spät hier noch tun ist aber ansonsten wortkarg. Er notiert sich unser Nummerschild und meint, daß der Weg nicht schlechter werden würde. Immerhin.
Wir fahren weiter ins Dunkel. Alle paar Minuten frage ich Martina wie weit es noch ist und bin enttäuscht, wenn sie mir sagt: “Wieder 300 Meter geschafft”. Wasserdurchfahrt folgt auf Wasserdurchfahrt, ich drifte durch und manchmal habe ich das Gefühl, das Auto schwimmt und hat gar keinen Bodenkontakt mehr. Jetzt fängt auch noch der Motor an zu stottern.
Wir stehen vor einer Abzweigung. Geradeaus zur “Campsite”, nach links zum “Office”. Die Kiste läuft nur noch auf 2 Zylindern aber ich muß anhalten, damit wir entscheiden können, ob wir geradeaus oder nach links fahren müssen. Wir stehen mit den Rädern im Sumpf, der Motor zuckt noch ein wenig und stirbt dann vollends ab.
Super klasse. Wir stehen hier mitten im Busch, es ist stockdunkel, wir haben quasi keine Vorräte dabei und stecken fest. Ich fluche mal wieder über diese bescheuerte Idee, 500 Km hierherzufahren und als Lohn der Arbeit eine Nacht im Auto verbringen zu müssen. Martina meint nur trocken: “Du wolltest doch eine Abenteuertour, jetzt hast Du eine Abenteuertour”. Ich versuche Sie möglichst böse anzugucken, was Sie in der Dunkelheit entweder nicht sieht oder völlig ingnoriert.
Ok, jetzt durchschnaufen. Ich vermute eh, daß die Elektrik naß geworden ist und die Feuchtigkeit hoffentlich verdampft. Nach 20 Minuten in die Dunkelheit starrens, starte ich nochmal den Motor. Er zuckt.
Erst ein Zylinder, dann 2 und schließlich ist er wieder da. Braves Auto. Gut gemacht Nissan. Es geht weiter.
Wir biegen nach links ab. Zum Office. Der Weg is nun etwas besser. Die ersten Gebäude kommen in Sicht, dann noch eine Kurve und ein Haus taucht auf. Mit Licht. Wir sind gerettet!!
Wir halten vor dem Haus an. Zuerst kommt eine Frau mit einem riesigen Hund auf uns zu. Gefolgt von einer alten Dame. Es ist Sheila Siddle und ihre Tochter. Sie wundern sich schon ziemlich, wer da noch so spät auftaucht. Wir erklären, daß wir echt froh sind, es bisher geschafft zu haben. Sie schauen mich an und fragen: “Welchen Weg habt Ihr genommen?” Wir beschreiben ihn kurz. Da sagen Sie: “Oh, you took the old road, there is a new road, this one is much better”. Dann werfen Sie einen Blick auf das Auto und meinen: “How did you pass the rocks with this car?”. Keine Ahnung, aber es scheint, als ob wir echt Glück gehabt haben, daß wir das Auto nicht zerlegt haben.
Wir werden herzlich ins Haus gebeten. Uns begrüßen 3 weitere Hunde und mind. 4 Papageien. Ich bekomme erstmal ein kaltes Bier serviert und Sheila freut sich, mit mir noch ein zweites trinken zu können. Sofort kommen wir ins erzählen. Wir erfahren schon einiges über die Schimpansen-Farm und das Leben hier. Auch wir können mit einigen Tiergeschichten mithalten. Sheilas Tochter macht uns noch ein Abendessen zurecht und es wird ein toller Abend. Sheila hat einen feinen Humor und wir mögen uns auf Anhieb. Sie ist mit Ihren Eltern 1947 mit dem LKW von England bis nach Südafrika gefahren. Das alleine ist schon eine Riesenabenteuer. Mit Ihrem Mann David hat Sie in den 70ern diese Farm gegründet. 1982 hat ihr ein Ranger ein halbtotes Schimpansenbaby gebracht, dessen Mutter von Wilderern getötet wurde. Sie hat es gesund gepflegt und damit fing alles an. Nach und nach richtete sie mit ihrem Mann eine Schimpansenstation ein, in die Schimpansen aus aller Welt gebracht werden konnten. Mal war es ein Baby, dessen Eltern von Wilderen getötet wurden. Mal war es ein Schimpanse, der privat gehalten wurde, dessen Besitzer es nicht mehr haben wollten. Manche wurden als Attraktion in Kneipen gehalten oder als Belustigung für Kinder. Viele kommen schwer verletzt und traumatisiert in die Station.
Es gab bis dahin weltweit keinen Ort, der Schimpansen aufnahm und diese wieder an das “Wildleben” gewöhnen konnte. Sheila fing damit an und Ihr Projekt lebt bis heute sehr erfolgreich fort. Was für eine grandiose Lebensleistung.
Insgesamt leben inzwischen 120 Schimpansen in verschiedenen, riesigen Freigehegen auf der Farm. Die meisten Gehege können nicht betreten werden, allerdings ist eine Gruppe so an den Menschen gewöhnt, daß wir mit ihnen einen “Bushwalk” machen können.
Nach einer Nacht im Gästehaus, bereiten wir uns am Morgen auf den Bushwalk vor. Wir dürfen keine Brille oder Schmuck tragen und müssen Overalls anziehen. Dafür bekommen wir jede Menge Kekse in die Taschen gesteckt. Zusammen mit einem Guide betreten wir das Gehege. Sofort kommt die Affenbande auf uns zugestürzt. Sie nehmen uns an die Hand und fangen an, in den Overalltaschen nach den Keksen zu suchen. Josef, ein junges Männchen klettert an mir hoch und zoppelt an meinem Ohr und an meiner Nase rum. Immer wieder schlagen sie Purzelbäume und halten sich an uns fest. Die sind in toller Spiellaune und wir könnten stundenlang mittollen.
Nachdem alle Kekse gegessen sind, laufen wir durch das Gehege, daß mehr einem Urwald gleicht. Die Affen folgen uns, klettern um uns rum auf die Bäume und halten sich immer wieder an unserer Hand fest. Es ist tatsächlich unbeschreiblich. Die Affen verhalten sich eher wie kleine Kinder. Keine Frage, daß sind wirklich unsere nächsten tierischen Anverwandten.
Insgesamt sind wir 2 Stunden bei den Schimpansen. Wir verabschieden uns anschließend von Sheila Siddle. Sie schenkt uns noch zum Abschied Ihr Buch “Schimpansen in meinem Garten” mit einer Widmung an uns und obwohl wir nur kurz da waren fällt uns der Abschied schwer. Wir besuchen am selben Tag noch weitere Gehege und schlafen im Gästehaus des Ausbildungszentrum, wo auch einige Freiwillige für das Projekt wohnen und arbeiten.
In der Nacht regnet es heftig und wir hoffen, daß der Weg zurück nicht allzuschlimm wird aber am morgen scheint schon wieder die Sonne. Die Piste zurück zur Hauptstraße ist tatsächlich mit der “Dschungelpiste” auf der Herfahrt überhaupt nicht zu vergleichen. Ganz locker erreichen wir wieder die Teerstraße und fahren die 500 Km zurück nach Lusaka.
Im Pioneer Camp warten unsere beiden Motorräder auf uns und wir rüsten uns jetzt für unser nächstes Ziel. Simbabwe.